Neben dem gestern beschriebenen Rodeo ist der Jahrmarkt aufgebaut. Der TÜV Rheinland würde sich über die Aufgabe freuen. Die Leute hier brauchen ihn nicht. Etwas Augenzucker.
Neben dem gestern beschriebenen Rodeo ist der Jahrmarkt aufgebaut. Der TÜV Rheinland würde sich über die Aufgabe freuen. Die Leute hier brauchen ihn nicht. Etwas Augenzucker.
Ostern ist in Lethem also Rodeo der Region Rupununi: Mit „Wilde Kühe Melken“, Pferdeflüsterer, Wahl der bestangezogenen Rodeo Frau, Wilde-Pferde und Bullenreiten. Nicht zu vergessen Trinkspiele und Schweinefangen. Es gibt viel zu sehen von und neben den Tribünen, die „Vaqueros“ (Cowboys) der regionalen Ranchen, aus Brasilien und sonstwo, laufen stolz durch die Gegend. In der Stadt herrscht plötzlich Betrieb und Partystimmung, mehrere kleine Flugzeuge treffen pro Tag ein. Der vormalige Präsident Guyanas kreuzt meinen Weg. Ich hätte ihn mir eher in Militäruniform vorgestellt, aber er sieht normal aus.
Im Rodeostadion sind einige Pferde sind in der Tat sehr wild und bockig, die Reiter offenbar fähig, das Publikum weniger klatschfreudig. Außer beim Trinkspiel, hier müssen die Teilnehmer ein Stück rennen, eine Dose Bier trinken, sich mit dem Kopf nach unten mehrmals im Kreis drehen und zurück rennen. Die Orientierung geht verloren, das gefällt. Ach ja, die Musik: volle Breitseite amerikanische Countryklänge. Nachdem ich die bereits auf einer mehrstündigen Autofahrt Kenny Rogers lauschen musste, wünsche ich mir bitte eine CD mit den 100 größten Countryhits zum Geburtstag.
Die Savanne in Guyana ist übrigens auch in Schwarz weiß sehr fotogen:
Der Guyanische Steppenwolf wäre dann wohl ich, aber den Jaguar soll es geben. Also zu Guyana: Knapp 1 Million Einwohner, ehemals englische Kolonie, aufgrund seiner Geschichte ein Rassengemisch aus Indios, Karibik, Afrika, Indien, etwas China. Europa ist im Süden hier nicht vertreten, vermutlich im Norden rund um die Hauptstadt Georgetown. Sprache Englisch, das sich aber ratternd und aggressiv anhört, eher kein Oxford-Englisch und nicht immer verständlich. Es fällt auf, dass es oft um Geld geht, ständig wechseln Geldbündel den Besitzer. Außerdem ist es sehr laut, Sprache und Musik immer bis zum Lautstärke-Anschlag. Mein bisher einiger Kontakt war ja der Guyaner, der mich vor Jahren im „Hotel“ in Manaus eingesperrt hatte und gegen Geld freiließ. Naja, ich lasse mir gerne das Gegenteil beweisen, die Freundlichkeit der Guyaner. Hier an der Grenze nach Lethem kommen viele Brasilianer zum Einkaufen, es gibt unzählige Geschäfte mit China-Plastikkram und gefälschten Klamotten. Nachdem Brasilianer nun auch nicht gerade die Modekönige sind, wird es für sie recht sein. China-Geschäfte seien in Brasilien verboten, deshalb sei hier alles chinesisch. Also auf den brasilianischen Märkten gabe es Unmengen Fakre-Ware, aber vielleicht sind sie im Norden verboten. Hinter dem Ort sind dann Indigene Gemeinschaften und die Savanne mit ihren Ameisenhügeln, dahinter bewaldete Berge. Sehr schön. Die indigenen, geschützten Gemeinschaften sind wie in Brasilien organisiert: Du kannst dort nicht einfach hinziehen. Um dort zu wohnen, musst Du dort geboren sein, ein Kind von dort lebenden sein oder jemanden von dort heiraten. Die Hausmauern dieser einfachen Häuser hier sind hier mittlerweile meist aus Backstein, das Dach aus Gras oder Schilf. Weniger Fortschritte haben die Straßen gemacht: auf ein Schlagloch folgt das nächste, reiner Zickzackkurs. Macht nichts: Unser Jeep kolabiert ohnehin beim Ausflug nach Motorüberhitzung.
Abschied von Fordlandia
Ein echter Teufelsritt: von Fordlandia mit dem Boot nach Santarem, von Santerem mit dem Flieger nach Manaus, von Manaus 11 Stunden mit dem Bus nach Boa Vista im Norden Brasiliens, von dort mit dem Bus nach Bomfim an die Guyanische Grenze. Dort geht es wie immer schnell, unversehens lande ich im Taxi und es geht über eine neue Brücke nach Guyana: die brasilianische Passkontrolle ist (nicht selbstverständlicherweise) freundlich. Die Guyanische zieht sich ewig, Machtgehabe in Uniform gehört zum Ritus. Dann bin ich da, in Lethem, Guyana. Nicht das Französische. Das Englische, das aber ohne dieses Attribut auskommt. Sie sprechen allerdings Englisch, so eine Pidgeon-Variante.
Auf der Reise habe ich mal wieder einen der schlimmsten Orte passiert: den Busbahnhof in Manaus. Hatte ich von vor vier Jahren genauso höllisch in Erinnerung. Ein schreiender einbeiniger verrückter Wanderprediger zählt dort noch zu den angenehmen Erscheinungen. Die Wartehalle ist ein dunkles Loch, um den Busbahnhof lungern unglaubliche Kreaturen und campieren die Indios. Alles umgeben von einem mehrspurigen Fahrbahngewirr und unzähligen Bruchbuden. Sehr anrührend: die kleinen Indo-Straßenkinder spielen mit Bauklötzchen die gleichen Spiele wie mein kleiner Neffe in Düsseldorf. Und doch werden ihre Wege so verschieden sein. Kurzzeitig schallte durch den Bahnhof das Lied des „Phantom der Oper“: „Sing Vögelchen sing“, schrie ich dem Wanderprediger zu. Entsprechend der Wartesaalbesatzung war auch die Busbelegschaft. Uiuiui, manchmal ist es hart die Komfortzone zu verlassen. Gottseidank musste ich einen guten Teil der Nachtfahrt auf dem Busklo verbringen, so blieb mir mein ungewöhnlich erscheinender und riechender Sitznachbar erspart. Sind wir ehrlich: Wahrscheinlich dachte er das selbe von mir. Jetzt bin ich in Lethem, diesem staubigen Städtchen, in Rupununi, Guyanas Hinterland. Brasilien, warum verließ ich Dich?
Manaus aus dem Flieger mit dreckigem Fenster
Lethem
Ich in der Kantine, Originalmobilar
Ich suche den Friedhof, natürlich. Tief im Wald ist er. Ich finde ihn nicht, will aufgeben und kehre um. Nach einer Weile treffe ich fünf eislutschende Jungs, die nach Schulende in eine weiterentferne Siedlung laufen. Ich frage nach den Friedhof, sie schicken mich wieder in die Richtung, aus der ich kam. Ich erkläre, es sei ganz schön matschig auf dem Weg und deute auf meine Schuhe mit 3 Kilo Matschklumpen dran. Sie schauen auf meine Schuhe, ich auf ihre Füße: alle barfuß. Wir lachen 5 Minuten Tränen. Que stupido touristo. Der Friedhof von Fordlandia war schon früh in den 20-er und 30-er Jahren rege besucht. Besser belegt. Die amerikanischen Gräber sind weg, die der Brasilianer noch da. Die Steinkreuze stehen schief herum, liegen gestapelt aufeinander. Es weckt in meiner deutschen Sensibilität unangenehme Assoziationen nach Massengräbern.
Die SchuleHotel fuer Gaeste der Amis
Hotel Eingang
Willkommen in Fordlandia. Es war schon lange ein Traum, diesen Ort zu besuchen. Nun lag dieser zufällig nur ein paar Stunden flußaufwärts, also bin ich hingefahren. In Fords Utopia aus den 20er und 30er Jahren, gegründet 1928. Schon aus der Ferne begrüßt einen das gläserne ehemalige Warenhaus an der Bootsanlegestelle. Über allem thronen eine Kirche und der Wassersammelbehälter. Hier also, einsam in Amazonien am Fluss Tapajos, zog Ford ein kleines Amerika auf zur Gummiherstellung für Autoteile. Er hatte alles unterschätzt: den schlechten Boden, Hitze, Krankheiten und dass man ein Volk nicht amerikanisieren kann. Also damals. Alkohol- und Spielverbot sowie strikteste Arbeitszeiten kamen nicht gut an, ein ums andere Jahr gingen die Bäume zur Kautschukproduktion ein. Man sagt, es verließ nicht ein Liter Kautschuk in 20 Jahren den Ort. Geblieben sind Ruinen von Lagerhallen, Kino, Geschäften. Die Häuser sind teilweise bewohnt, die Kantine teilweise hergerichtet, allerdings funktionslos. Es leben Menschen hier und irgendwie hängt über ihnen eine Wolke der Hoffnungslosigkeit. Und irgendwie fehlt es auch etwas an Antrieb. Alles Pläne aus dem Ort etwas zu machen sind gescheiten, die lokale Regierung unwillig. Ich werde mehrfach gefragt, ob in Deutschland die Regierung auch so schlecht sei. Da dabei bin ich überrascht. Es ist nicht nur die Historie, die interessant ist. Der Ort liegt fantastisch, wunderschön. Strand gibt es leider nur zwei Monate im Jahr.
Ich wohne übrigens in der Pousada Americana, wie passend. Der einzige und nicht billigste Schlafort in Fordlandia, aber das Niveau ist hervorragend. Guillerme ist ein Macher, man sieht es, wenn er seine Camouflagejacke anzieht und mit gerecktem Bajonett auf dem Moto zur Jagd düst. Deshalb also die vielen Kühltruhen. Ich bin beruhigt, hatte schon so etwas wie Arsen und Spitzenhäubchen befürchtet. Denn ich bin der einige Touri in diesem abgelegenen Ort. Vor mir war ein Journalist der New York Times da, dieses Niveau steht mir ebenso.
Lagerhalle beim Bootsanlegeplatz
Ehemaliges Kino, sagte man mir
Verlassen
Morgen gibt’s was fürs Auge: Herny Fords Utopia.
Seine amerikanische Dschungelstadt Fordlandia aus den 20-er Jahren. Bzw. was davon übrig blieb.
Spannend und optisch beeindruckend.
Ich fahre nach Belterra. Das ist ein von den Amerikanern ab 1934 aus dem Boden gestampfter Ort, rund 15 Kilometer von Alter do Chao. Man sieht dem Ort die US-Gene an: eine gerade Ortshauptstraße wie ein Strich. Die ganz Anmutung einer amerikanischen Vorstadt. Waagrechter Holzbau an den Hausfassaden bedeutet original amerikanisch, erklärt mein Super-Guide Thiago. Er spicht perfekt englisch, ist sehr intelligent und erklärt mir alles bis hin zum brasilianischen Wahlrecht. Zur Historie des Ortes: Nachdem das Fordwerk (Fordlandia) im Dschungel schlecht lief, erhoffte sich Ford vom Kautschukanbau zur Gummiherstellung unter vermeintlich besseren Bedingungen in Belterra mehr Erfolg. Nach ein paar Jahren war auch dieser Traum ausgeträumt. Vorzustellen ist sich der der Ort mit Wohnparzellen an der großen Straße, etwa wie in den Zechenstädten. Größere Häuser für (amerikanische) bessere Angestellte, kleinere Wohnungen für die Arbeiter. Thiago hat mindestens ebenso großes Interesse wie ich. Wir studieren im Archiv die Originalbaupläne, wo waren welche Wohnungen, Metzger, Werkstätten, Krankenhaus? Wir gehen die Häuser ab, teilweise schöne Wohnhäuser, teilweise zerfallen. In vielen Verwaltungsgebäuden sind städtische Ämter. Wir gehen durch die Werkstätten, die Maschinen stehen verstaubt da, nebenan werden jetzt Schulbusse repariert und der zerlegte Riesen-Weihnachtsmann wartet auf seinen nächsten Einsatz auf dem Dorfplatz.. Am Schluss gehen wir in Henry Fords Haus. Ich küsse sein original Waschbecken. Er selbst war ja nie dort.
Man fragt sich ja, so als Europäer mit vorgeblicher Fürsorge und dem Fetisch numerischer (Wachstums)Ergebnisse: Warum leben die Leute so abgelegen und wovon und was machen die eigentlich so den ganzen Tag? Erstes ist meint familär bedingt. Zweiteres: Die Menschen machen und produzieren alles mögliche. Tila arbeitet im Dorfladen, nachvollziehbar. Andere produzieren Artikel aus Gummi vom Kautschukbaum. Im Workshop lernt man das sehr schön. Marivaldo ist Dschungel-Wanderguide und Waldbauer. Viele Minijobs zum Auskommen quasi, wie beim Journalisten. Das, was dort für mich als beliebiger Wald aussieht, hat Kultur. Aus der Andiroba-Frucht, ein Mahagonigewächs, wird Öl gepresst und gekocht. Dass dieses Öl für alles gut ist von Faltenweg bis Magenreizung, versteht sich von selbst. Zumindest fühlt es sich wunderbar zwischenzeit den Fingern an. Ich hoffe meine Wundern vergessen schneller. die körperlichen. erzählen muss man: Diese Gegen wird vom Staat gefördert. Auf den Häuser sind Stempel der Staatsbank und Stromversorgung gibt es erst seit gut 10 Jahren. Ich unterhalte mich darüber wie ein Kühlschrank das Leben ändert. Ich bin da sehr erfahren. Vor meiner Abreise musste ich 24 Stunden ohne Kühlschrank auskommen (Altentsorgung / Neukauf). Ich kann dem brasilianischen Waldbewohner bestätigen: Es war eine schwierige Zeit!
Auf der Ölfarm
Beim Kautschuk-Workshop
Wenn man für Friedlichkeit ein Synonym bräuchte, dann wäre Alter do Chao geeignet. Wie so viele kleine Städtchen in Südamerika mit ihrer kleinen, feinen sozialen Infrastruktur. Mal geht man ins Wasser, mal in den Wald, tagsüber. Abends ins Städtchen, rund um den Dorfplatz sind Büdchen aufgebaut, Cafés gibts natürlich auch soviel jonglierende Clowns. Na ja. Einen zumindest. Mein Stammkneipe rollt seine Leinwand aus, auf der Konzertfilme von 80er Jahre Rockgrößen wie Manowar oder ähnlich laufen und dröhnen.
Wie sehr ich Spiegelfotos mag, erzähle ich bereits früher. Hier bin mal wieder im grün bewaldeten Spiegelparadies gelandet, zum Beispiel auf diesem Amazonasarm. Das erinnert mich an diese Escher-Bücher früher, deren seltsame Bilder man nur unter Drogeneinfluss anschauen durfte. Auf jeden Fall ein schöner Start in den Tag!